Ursus & Nadeschkin

Tagebuch

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19.12.2012

Keine lustigen Frauen?

Keine lustigen Frauen?

«Es gibt keine lustigen Komikerinnen», wird der Festivaldirektor des Humorfestivals in einem Interview zitiert. Das meint er natürlich nicht so, sondern anders, würde er wahrscheinlich sagen, wenn man ihn darauf anspräche, ein bisschen provozieren darf man ja, und dass der Festivallleiter in Arosa gerne mit kernigen Aussagen Staub, bzw. Schnee aufwirbelt, ist bekannt.
Trotzdem: wir nehmen hier seinen Schneeball gerne auf, und zitieren aus einem Bericht der ANNABELLE, der zufällig zeitgleich erschien, die Gegenthese:
Daniele Muscionico listet in ihrem Text gleich ein Dutzend weibliche schweizer Humoristinnen: Susanne Kunz, Lara Stoll, Anet Corti, Margrit Bornet, Birgit Steinegger, Crusius & Deutsch, Duo Luna-Tic, Esther Schaudt, Gardi Hutter, Frau Fischbach und Nadeschkin... und das sind noch lang nicht alle!


DIE LUSTIGEN WEIBER
© Annabelle vom 5.12.12.

Fröhlich säbeln sie am Thron der Herren der ­Pointen. Bühne frei für die biestigsten, bissigsten und witzigsten Frauen des Landes.

Es ist nicht mehr zu übersehen und noch weniger zu überhören: Frauen haben das Terrain der öffentlichen Komik erobert. Was in Deutschland Anke Engelke oder Hella von Sinnen leisten – die Verabreichung von kritischem Humor ohne Zeigefinger –, das vollbringen Schweizer Schauspielerinnen mindestens so fulminant. Sie bewitzeln die Welt aus ihrer Perspektive jenseits der Zynikerkultur. Und wie!
Gardi Hutter war die Erste, die sich das Recht nahm, hässlich zu sein und den Clown zu spielen. Die Bühne ist ein Spiegel der Gesellschaft, und weibliche Plumpheit galt bis dahin nicht als damenhaft. Hofnärrinnen sind eine Spezies, die in der Schöpfung nicht vorgesehen ist. Eine Elsie Attenhofer, eine Voli Geiler, eine Ines Torelli damals, Komikerinnen erster Klasse allesamt, hatten äusserlich gefällig zu sein, wollten sie ernst genommen werden und Gehör finden, als sie auf der Bühne (politisch) Ungefälliges postulierten. Doch Komik spielt auch mit der Verformung des Körpers, mit entstellenden Grimassen. All das war nicht vereinbar mit den gesellschaftlichen Anforderungen des Schönseins, und es strengt auch heute noch an.
Die Psychoanalyse meint, in jedem Witz steckt ein Quäntchen Aggression. In der Vergangenheit lernte frau, die Aggression gegen sich selbst zu wenden. Gardi Hutter beschädigte dieses Tabu, nachhaltig und ohne dass je eine Komikerin hinter dieses anarchische Moment wieder zurückkonnte. Antonia Limacher, die weibliche Hälfte des Duo Fischbach, ging mit ihrer Figur noch einen Schritt weiter. Sie war nicht nur abgrundtief hässlich, sondern zeigte sich als Lilian gegen ihren Bühnenpartner von einer Übellaunigkeit, die real existierende Kratzbürsten nachgerade versöhnlich wirken liess.
Spätestens als in der Chronologie der Geburt eines öffentlich-weiblichen Humors das Theater Rosalena auf der Bühne auftauchte, gab es kein Halten mehr. Delia Dahinden und Esther Übelhart waren wie aus dem Bilderbuch für fortgeschrittene Clowns, gebeizt im Feminismus der reiferen Sorte.
Gibt es einen weiblichen Humor? Die Bilanz der weltweit wenigen Gender-Humorforscherinnen ist klar: Seit den Achtzigern schlagen sich lachende Frauen nicht mehr mehrheitlich auf die Seite des Mannes. Sie lachen ­heute nicht mehr nur mit ihm, sondern besonders gern auch über ihn.
Komik und Humor wurden immer auch zur Karikierung herrschender Normen genutzt und damit auch zur Karikierung von Geschlechterverhältnissen. Weibliche Komik zielt auf Geschlechterdifferenzen. Indem der Humor Normen bricht, und seien es nur sprachliche, beeinflusst er sie, kreiert neue Perspektiven auf den Gegenstand. Er vermittelt damit Souveränität und einen eigenen Zugriff auf die Welt.
Komikerinnen bespötteln die Frauenrollen und schauen dabei sehr genau hin. Sie laden zum Lachen über Klischees ein, die dadurch überwindbar scheinen oder zumindest als solche ins Blickfeld rücken. Ihre Schlüsse müssen die Zuschauerinnen selber ziehen. Wollen sie nur lachen, ist es auch recht. Keine Frau, die öffentlich komisch ist, wird dagegen etwas einzuwenden haben.
Margrit Bornet zum Beispiel. In ihrem Programm «Spliss», einer Satire aus der Innenwelt eines Coiffeursalons, surft sie auf der Dauerwelle ihres eigenen Erfolgspersonals: Sie ist Ro­cker­witwe, Teilzeitmutter, Tee­nager, ein Gör, das die auf SMS fixierte Sprachkultur auf den Punkt bringt. In ihrem neusten Solo «Bornet to be wild» spielt sie mit links einen ganzen Frauenverein. Bornets Feld ist die Situationskomik, und das pflügt sie mit Ernst.
Oder Anet Corti. Auch ihre Figuren sind dem weiblichen Leben ab­geschaut, abgelauscht und ins Grobe verfeinert. «Henriette Hilpert» hat als «Fachfrau für perfektes Marketing» zwar 1001 Ratschlag für andere zur Hand, doch in der Vermarktung ihrer eigenen Person ist sie eine Niete. Es mangelt ihr an Selbstvertrauen, wahr wie im richtigen Frauenleben ist das.
Anet Corti gehört zur raren Sorte komischer Bühnenkünstlerinnen, die nicht nur Pionierinnen sind, sondern auch Geburtshelferinnen eines öffentlich-rechtlichen Frauenhumors. Frauenförderung ist Hilfe zur Selbsthilfe, denn eine staatlich verordnete Frauenkabarett-Quote zu fordern, taugt nicht einmal als Bühnenwitz. Corti tritt damit in die Fussstapfen von Nadja Sieger alias Nadeschkin. Beide fördern ihre Berufsgenossinnen nach Kräften, indem sie ihnen Sichtbarkeit und Auftritte verschaffen. Nadeschkin im Duo mit Ursus im Rahmen ihrer Programme, Corti anlässlich des nationalen Comedy-Festivals, das in Zürich und Luzern stattfindet. Seit sieben Jahren präsentiert sie dort eine exklusive Frauen­runde, den Abend «Ladies Comedy», doch erst seit diesem Jahr stammen alle Teilnehmerinnen aus der Schweiz.
Heisst das zum abschliessenden Ende, dass komische Frauen auf der Bühne vor allem privat sind? Dass sie das Politische den Männern überlassen? Vielleicht, die Tendenz ist nicht von der Hand zu weisen. Vielleicht hat aber auch die jüngste Kabarettistinnengeneration die Aktualität des Slogans erkannt, den ihre Grossmütter noch auf der Strasse skandierten: «Das Private ist politisch!»

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