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Viel Aufregung um eine Frisur
Wie wunderbar!Soeben wurde ein Artikel von FAIRMEDIA veröffentlicht, der zusammenfasst, was Medien tun, wenn sie nicht wissen wollen, was sie tun. Ursus & Nadeschkin wurden jüngst zum Spielball von 20Minuten & Co. Der Artikel liest sich fast wie ein Krimi Viel Spass! (FAIRMEDIA ist eine unabhängige Stelle, die eingreift, wenn Medien fies oder falsch berichten.)
Wie die Medien im Fall Ursus & Nadeschkin überdrehten
Jetzt auch noch Ursus & Nadeschkin. Das dachten wohl viele, als der Vorwurf der kulturellen Aneignung das bekannte Schweizer Künstlerduo traf. Mitten in der Aufregung um die Konzertabsage einer Berner Band, mussten sich die beiden für die Haare rechtfertigen, die die Komikerin Nadeschkin seit 30 Jahren trägt. Grund der Kritik: Wenn Nadeschkin Dreadlocks trage, sei dies nicht «wild und lustig», sondern Ausdruck von kultureller Aneignung, ergo «problematisch». Absender der Kritik: eine anonyme Einzelperson, die den Vorwurf in einer E-Mail an das Künstlerduo formulierte. Die entsprechende E-Mail-Korrespondenz wurde – ebenfalls anonym – auf Instagram publiziert und landete auf der Redaktion von «20 Minuten». Jetzt hätte diese Geschichte enden können. Schliesslich handelte es sich nicht um die Kritik einer ernstzunehmenden Gruppierung, eines Experten oder eines Interessenverbands. Doch die Geschichte nahm damit erst ihren Anfang.
«20 Minuten» fabriziert aus der E-Mail einer anonymen Einzelperson eine Geschichte mit dem Titel: «Perücke ist problematisch» - Nadeschkin wird kulturelle Aneignung vorgeworfen».
Ehrlicherweise hätte der Titel jedoch lauten müssen: «Anonyme Einzelperson wirft Nadeschkin kulturelle Aneignung vor.» Denn wer den Artikel zu Ende liest, merkt, dass einzig diese anonyme Einzelperson die Perücke kritisiert. Entweder liess sich keine weitere Kritiker-Person finden, oder «20 Minuten» machte sich nicht die Mühe, weitere Personen zu suchen. Ein Soziologe, der den Sachverhalt im Artikel einordnet, nimmt Ursus & Nadeschkin gar in Schutz. Der Vorwurf der kulturellen Aneignung sei «etwas simpel».
Dass «20 Minuten» aus einem anonymen Einzelvorwurf eine Empörungsgeschichte macht, ist das eine. Gravierend ist aber vor allem, dass das Boulevardmedium im Artikel Passagen aus der privaten E-Mail-Korrespondenz zwischen der anonymen Person und Ursus & Nadeschkin veröffentlicht. Der Redaktion war nicht einmal bekannt, ob hier Urs Wehrli, alias Ursus, oder Nadja Sieger, alias Nadeschkin, der oder die Absender:in war. Es war Urs Wehrli, der der anonymen Person antwortete. Aber weil die Dreadlocks von Nadeschkin in der Kritik standen, ging «20 Minuten» automatisch davon aus, dass Nadja Sieger mit der anonymen Person korrespondiert hatte. Zitieren aus Privatkorrespondenzen ist grundsätzlich nur dann erlaubt, wenn die betroffene Person einverstanden ist oder ein öffentliches Interesse am Inhalt besteht. Wenn beispielsweise ein hochrangiger Beamter Insiderwissen an einen Freund weitergibt, dürften Medien allenfalls aus diesen privaten E-Mails zitieren. Die anonyme Einzelkiritik eines Unbekannten kann aber wohl für die Redaktion nicht als öffentliches Interesse gelten.
Das Künstlerduo wollte sich auf Anfrage von «20 Minuten» nicht zum eigentlichen Vorwurf der kulturellen Aneignung äussern. Das Wichtigste zum Thema sei gesagt, schrieben sie an die Redaktion. Der E-Mail-Dialog sei indes privat und nicht für die Öffentlichkeit geschrieben worden. Man mache sich jedoch sehr wohl Gedanken dazu und nehme das Thema kulturelle Aneignung sehr ernst.
Immerhin reagierte «20 Minuten», als das Künstlerduo intervenierte. Die Zitate aus der Privatkorrespondenz wurden einige Tage nach Publikation aus dem Artikel gelöscht.
Laut «20 Minuten» wurden die Passagen «auf Wunsch des Künstlerduos entfernt». Kein Wort darüber, dass die Publikation der Privatkorrespondenz dem Schutz auf Privatsphäre widerspricht.
Während «20 Minuten» fragliche Passagen löschte, nahm die Story jedoch bei anderen Deutschschweizer Medien weiter Fahrt auf. Im Fokus: einzig Nadeschkin – diese hatte sich bis anhin noch mit keinem Wort zum Thema geäussert.
Die grossen Medienhäuser berichten über das neue «Rasta-Gate» und ernteten dafür viel Unverständnis von ihren Leser:innen. In den Kommentarspalten gab es viel Kritik für die Frisur-Kritik. Viele äusserten auch, dass sie den Vorwurf und das Thema für völlig irrelevant hielten.
Umso mehr stellt sich die Frage, warum «20 Minuten» und die übrigen Medien die Geschichte über den Vorwurf einer anonymen Person derart breit austreten. Nur um die Empörungsspirale über den «Woke-Wahnsinn» etwas weiter zu drehen und ein paar Klicks zu generieren?
Die Kommunikationsbeauftrage von «20 Minuten» verteidigt die Berichterstattung: Den auf Social Media publizierten Vorwurf habe die Redaktion «aufgrund der breiten gesellschaftlichen Diskussion rund um das Thema» als relevant eingestuft. Ausserdem sei der Vorwurf im Artikel durch einen Soziologen kritisch eingeordnet worden.
Dass diese Geschichte so viel Medienpräsenz auslöst, habe man nicht erwartet, sagen Ursus & Nadeschkin gegenüber Fairmedia. «Es macht uns nachdenklich, dass die Medien eine solche Geschichte auf diese Art und Weise aufgreifen», erklären die beiden. Gegen eine inhaltlich angemessene Debatte habe man nichts einzuwenden: «Aber was wir erlebten, war das Gegenteil einer inhaltlichen Auseinandersetzung, die das Thema eigentlich verdienen würde.»
Richtig ärgerlich sei zudem ein Artikel gewesen, der bei CH Media erschienen war, erklärt das Künstlerduo. Darin wurde behauptet, Nadeschkin bezeichne ihre Perücke selbst als «Wischmopp».«Dies habe ich jedoch nie gesagt», erklärt Nadeschkin. Sie würde ihre Dreadlocks niemals «in den Dreck ziehen». Das Wort sei verletzend und unhaltbar gegenüber allen, die Dreadlocks tragen. Die Journalistin habe das Zitat frei erfunden.
Tatsächlich musste die Redaktion das Wort aus dem Artikel entfernen, weil sie nicht belegen konnte, dass Nadeschkin jemals zu ihrer Perücke «Wischmopp» gesagt hatte. Doch das Wort gefiel offenbar den Journalist:innen, die über das Thema schrieben, und der «Wischmopp» tauchte plötzlich auch in anderen Medien auf.
Die CH Media-Journalistin entschuldigte sich bei Ursus & Nadeschkin nachträglich für ihren Lapsus. Das Wort konnte sie aber nicht wieder aus dem Online-Universum kriegen.
Warum die Qualitätskontrollen des Verlags einen solchen Fehler nicht verhinderten, dazu wollte CH Media gegenüber Fairmedia nicht Stellung nehmen.
Müssen wir uns daran gewöhnen, dass einzelne Medien mit einer substanzlosen Geschichte ganz viel Aufregung kreieren und in der Folge journalistische Fehler passieren? Vinzenz Wyss, Journalistikprofessor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), ordnet ein: Die «20 Minuten»-Redaktion bewirtschafte mit ihrer Berichterstattung ein kontrovers diskutiertes Thema, «sie surft also auf dem Nachrichtenwert der Thematisierung, welche Medien dazu veranlasst, keine Gelegenheit auszulassen, das öffentlich heiss diskutierte Thema voranzutreiben». Symptomatisch an dieser Geschichte sei, «dass sich das Medium einer privaten episodischen Äusserung in der Geröllhalde einer sozialen Plattform bedient und aus der Mücke einen Elefanten macht.» Es dürfe vermutet werden, dass die Redaktion damit die durchaus relevante Debatte über kulturelle Aneignung «ins Lächerliche ziehen wollte». Da stelle sich allerdings die Frage, «ob die offensichtlich ökonomisch motivierte Inszenierung im Hinblick auf Clickbating einem journalistischen Diskurs gerecht wird». Das «ausschliesslich Episodische» diene einem angemessenen journalistischen Diskurs nicht, so Wyss. Dafür müsste eben auch das Strukturelle thematisiert werden – wie es beispielsweise in anderen Medien geschah. Für Ursus & Nadeschkin hat die Episode eine ganz konkrete Konsequenz: «Wir antworten nicht mehr auf anonyme E-Mails, die uns erreichen.» Man wisse ja nicht, welche Absicht der Absender verberge und wo das E-Mail am Schluss lande. «Diese Vorsicht, die das Ganze bei uns auslöst, ist eigentlich bedauernswert. Denn bis anhin schätzten wir den Austausch mit dem Publikum sehr.»
(Publiziert am 20.9.2022, Jeremias Schulthess) — Transparenz-Hinweis: Fairmedia hat Ursus & Nadeschkin in dieser Angelegenheit im Rahmen seiner kostenlosen Anlaufstelle in medienethischer und medienrechtlicher Hinsicht beraten. Etwas Falsches gesagt, vom Reporter hereingelegt, oder einfach nur im falschen Moment am falschen Ort – manchmal braucht es nicht viel um ein «Medienopfer» zu werden. In der Rubrik «Hinter der Schlagzeile» erzählen wir in loser Folge die Geschichten von Menschen, die von Medien an den Pranger gestellt, vorverurteilt oder schlicht unfair behandelt wurden.
10.09.2022
Zoom-Gespräch mit Ursus & Nadeschkin – heute: Kuratierte Verneigung
Zoom-Gespräch mit Ursus & Nadeschkin – heute:
Kuratierte Verneigung
Endlich wieder ein neues Filmli aus unserer Zoom-Serie!
... zum Teilen, Versimsen, Verwhatsappen, Versignalen, Verthreemalen, Vertelegrammen, Vertiktoken....oder einfach zum Anschauen. Viel Vergnügen!
#kuratierteVerneigung #kantonaleAnmassung #kastrierteAbtreibung #kulturelleBegegnung #culturalAppreciation #culturalAppropriation
26.08.2022
Genug Filz
Wir haben nun genug über gefilzte Haare gelesen und gehört und widmen uns lieber wieder unserer eigentlichen Berufung.
«Ferd», unserem Esel, mit dem wir bereits 150x in der Zirkusmanege spielten, haben wir übrigens auch aus den Rastagate-Zeitungen vorgelesen. Er hat sie danach mit Freuden aufgefressen. Man sieht es ihm förmlich an.
23.08.2022
Medien handeln respektlos
Ich möchte etwas klar stellen:
Wenn Medien Nadeschkin's Haare als «Wischmopp» betiteln, dann werden meine eigenen Echthaar-Dreadlocks in direkten Zusammenhang mit Dreck gebracht, und damit in den Schmutz gezogen.
Das ist total daneben!
Dass man mir «Kulturelle Aneignung» anlastet ist aus meiner Sicht Zumutung genug. Aber dass man mir heute in den Zeitungen schweizweit in den Mund legt, dass ich Dreadlocks zum «Wischmopp» degradiere ist nicht nur verletzend, sondern ganz einfach gelogen und unhaltbar gegenüber allen, die Dreadlocks tragen.
Beim Gedanken daran, dreht sich bei mir der Magen um.
Nadja – Nadeschkin
Foto © Geri Born (2002)
21.08.2022
Feeh, unsere Rennkuh, geht nach Hause
Der Zirkus Knie zieht ab morgen in die Romandie, und wir alle, mit Kind, Vieh und Kegel, in die verdiente Pause:
Feeh, unsere weisse Rennkuh (ein Braunvieh ;-), geht nach Hause, auf den wunderbaren Demeter-Bauernhof in Arnegg *).
Ferdinand, unser Poitou-Esel ist bereits gestern ins solothurnische Hochwald verreist, und wir putzen und packen unsere sieben Sachen und verschwinden dann auch.
*) bei Gossau SG
**) im Bild, das liebenswürdigste Bauernpaar, das wir kennen: Dominique & Urs Hartmann.